Fotobuch

Wo die Zeit keine Macht hatCover Wo die Zeit keine Macht hat

Feen, Hexen und Druiden in der Sagenwelt Irlands

von Gerald Axelrod

 

Die ersten Spuren der irischen Geschichte liegen im Dunkeln verborgen. Aber es ist gerade diese mystische Urzeit, die Irland so interessant macht. Alte Legenden, die der Begleittext zusammenfaßt, berichten von gespenstischen Dämonen, die vor den Menschen die Insel bewohnten, von der Eroberung durch die Kelten und von den geheimnisvollen Kräften der Druiden, die als Ärzte, Priester und Zauberer die allerhöchste Macht besaßen. Doch die schönsten Erzählungen schildern Reisen in die "Anderswelt", also ins Reich der Feen.

Für die alten Iren gab es keine scharfe Trennung zwischen Diesseits und Jenseits. Vielmehr vermischten sich die beiden Welten, wobei die "andere Welt" unter den grünen Hügeln lag, als Insel im Ozean oder als versunkenes Land unter dem Meer. Menschen konnten sie durch Höhlen, Brunnen, Quellen, Seen oder Schiffsreisen (fast) jederzeit betreten (wer Pech hatte, schaffte es allerdings nicht mehr, zurückzukommen). Umgekehrt besuchten auch Feen unsere Welt, wobei sich die Erdenbewohner nicht selten in die zauberhaften Geschöpfe verliebten.

Dieses Ineinanderfließen von realer und mystischer Welt erreichte seinen Höhepunkt an Samhain, der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November. Am Abend des 31. Oktobers ging nämlich der Sommer zu Ende, während der Winter und gleichzeitig das neue Jahr erst am Morgen des 1. Novembers begannen. Die Nacht dazwischen hing sozusagen in der Luft, es war eine "Zeit zwischen den Zeiten", in der die Tore zur Anderswelt weit offenstanden und alle Geister freien Zutritt zu unserer Welt hatten. Ebenso konnten auch die Menschen besonders leicht ins Reich der Feen gelangen.

Noch heute wird diese Nacht in einigen Ländern, besonders in den USA, als Halloween gefeiert (der Name ist eine Kurzform von "All Hallows Eve", meint also die Nacht vor Allerheiligen). Da nicht nur liebliche Feen, sondern auch blutrünstige Monster und die Seelen der Verstorbenen in unsere Welt eindrangen, war diese Nacht außerordentlich gefährlich, und kein vernünftiger Mensch setzte einen Fuß vor die Tür.

Die maskierten Kinder, die heute in Amerika von Haus zu Haus ziehen und Geschenke fordern, symbolisieren diese Dämonen und Gespenster, die man mit Opfergaben gnädig stimmen mußte. Denn jeder Kelte bereitete ein reiches Festmahl für die Geister und öffnete die Haustüre, ehe er zu Bett ging. Danach durfte niemand die Wesen aus der anderen Welt stören. Wer seine Neugier nicht zügeln konnte und einen Blick auf die bizarren Gestalten riskierte, der wurde schon bald von ihnen geholt.

Samhain hatte nicht nur bei den Iren, sondern auch bei den Festland-Kelten eine so überragende Bedeutung, daß es der katholischen Kirche nicht gelang, dieses heidnische Fest abzuschaffen. Deshalb verwandelte sie es einfach in einen christlichen Gedenktag für die Toten, nämlich Allerheiligen.

Doch nun zurück zu den alten Mythen. Die Anderswelt war ein genaues Abbild unserer Welt mit Städten und Palästen, nur viel prächtiger und strahlender, ein Ort des grenzenlosen Glücks, ohne Hunger, Krankheit und Tod: "Wir verbringen unsere Zeit mit fröhlichen Festen und nie endendem Vergnügen, werden niemals alt und haben nie Streit", berichtete eine Fee den staunenden Menschen. Deshalb hieß die Anderswelt auch "Land der Jugend", "Land des Lebens" oder "Land des Überflusses".

Da die Bewohner ewig jung blieben, war es ein Ort, "wo die Zeit keine Macht hatte": Viele Jahre auf Erden erschienen im Land der Jugend" als kurzer Augenblick. Ein Beispiel dafür finden wir in der Erzählung "Die Reise des Bran":

Bran begegnete einer verführerischen Fee, die von den Freuden der Anderswelt schwärmte. Leider war die geheimnisvolle Schöne plötzlich verschwunden, und so machte sich Bran am nächsten Morgen mit seinen Gefährten auf, um die Anderswelt zu suchen. Nach einer langen Irrfahrt übers Meer erreichten sie schließlich die "Insel der Frauen", wo betörend schöne Feenmädchen ungeduldig auf sie warteten: "Ihre Augen glänzten wie Sterne, ihre Zähne glichen dem Elfenbein und ein Überfluß von goldenem Haar hing in Locken über ihre Schultern." Im Palast richteten die Feen für jeden der Männer ein Liebesbett her und verwöhnten jeden mit seiner Lieblingsspeise, die niemals geringer wurde, soviel man auch aß.

Bran blieb ein Jahr lang bei seiner Geliebten, doch dann sehnten sich seine Männer nach der Heimat zurück. Traurig versuchte die Fee, sie umzustimmen, aber vergeblich. Als die Fee die Abreise nicht mehr verhindern konnte, warnte sie die Männer, nie wieder einen Fuß auf irischen Boden zu setzen. Doch als sich das Schiff der Küste näherte, konnte sich einer der Männer vor Freude nicht mehr halten, sprang ins Wasser und schwamm an Land. Kaum hatte er den Strand betreten, zerfiel er zu einem Häufchen Asche. Denn in der realen Welt waren inzwischen einige Jahrhunderte vergangen.

In dieser Geschichte finden wir neben dem ungleichen Lauf der Zeit noch ein weiteres typisches Merkmal der Anderswelt: In ihr gingen die kühnsten erotischen Phantasien in Erfüllung. Keuschheit gehörte nämlich nie zu den Tugenden der Kelten, die sich - im Gegensatz zu den eher prüden Germanen - mit großem Genuß den sinnlichen Freuden hingaben. Der christliche Begriff der Sünde existierte ebensowenig wie die Androhung schrecklicher Höllenqualen als Strafe für die Ausschweifungen.

Der vorliegende Bildband nimmt den Betrachter mit auf eine Reise durch die Anderswelt, wo alle Wünsche in Erfüllung gehen.

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Wo die Zeit keine Macht hat
Eulen Verlag, 2000 (3. Auflage 2003)
22,8 x 28,6 cm, Hardcover
128 Seiten mit 96 Schwarz-Weiß-Fotografien, in Duoton gedruckt
ISBN 3-89102-455-X


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